Hintergrund
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07.11.2019, 22:07 Uhr | Claudia Heber
„Von der DDR-Ideologie hat sich die Linke nie losgesagt“
Allein der Gedanke, dass die, die ein System von Unfreiheit und Unrecht gestützt und maßgeblich am Leben gehalten haben, wieder dieses Land regieren, lässt mich nicht kalt

Kurz nach dem Mauerfall erfuhr ich vom Leben und Wirken meines Urgroßvaters, der als christlicher Gewerkschafter 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzt wurde und später ins KZ Mittelbau Dora kam und der nach 1945 im Eichsfeld die CDU mitgründete, ihr erster Vorsitzender wurde, den Kreistag leitete und sogar Landtagsabgeordneter und zeitweise CDU Landesvorsitzender war. Heute ziert sein Bronzerelief das Foyer im Landtag zwischen den Abgeordnetenbüros und dem Plenarsaal. Er gehörte zu denen in der CDU, die Haltung bewahrt haben, die sich eben nicht zur Blockpartei degradieren lassen wollten, die die Spaltung Deutschlands ablehnten und die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannten. Dieses Bekenntnis führte letztlich zu Verhaftung, barbarischen sechs Monaten Untersuchungshaft im Gefängnis der Staatssicherheit in Erfurt und als es der Stasi auch durch wochenlange Folter nicht gelang, dass er sein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung widerrief, schließlich zu 12 Jahren Zuchthaus durch ein Urteil in einem der berüchtigten Erfurter Schauprozesse.

Ich weiß nicht, ob ich so stark wäre, ob ich seine Kraft gehabt hätte, für die Idee von Freiheit, sozialer Marktwirtschaft und Demokratie so viel zu ertragen. Vielleicht hätte ich nach der dritten Nacht Schlafentzug und Verhör doch nachgegeben.
 

Allein der Gedanke, dass die, die ein System von Unfreiheit und Unrecht gestützt und maßgeblich am Leben gehalten haben, wieder dieses Land regieren, lässt mich nicht kalt. Natürlich gibt es auch junge Leute bei der Linken, die mit der Zeit vor 1990 nichts zu tun haben. Aber die Ideologie, die diese Verbrechen erst möglich gemacht hat, von der hat sich die Linke nie losgesagt. Aufarbeitung oder eine Entschuldigung bei den Opfern fehlt. Man lehnt es sogar ab, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Die Linke will nach wie vor ein anderes System und nimmt sich in diesem Streben nichts, aber auch gar nichts mit der neuen Rechten, der AfD, die Europa ablehnt und weder bürgerlich, noch konservativ ist.

Seit dem Wahlabend reden wir nun in Thüringen nur noch über die Linke und die AfD, die zusammen weit mehr als die Hälfte der Wählerstimmen bekamen. Sicher und hoffentlich nicht nur aus Überzeugung, aber eben auch. Das muss doch alle Demokraten aufrütteln! Wenn mehr als die Hälfte die freiheitlich-demokratische Grundordnung abwählen, für die mein Urgroßvater gekämpft und erbärmlich gelitten hat, dann macht mich das unfassbar traurig. Ich wünsche mir, dass die Parteien jenseits von links und rechts endlich miteinander reden. Auch die Sozialdemokraten und die Grünen, wie auch die freien Demokraten und vor allem meine Christdemokraten haben die Aufgabe, jetzt zusammen zu stehen und eine Regierung zu bilden, die zwar keine parlamentarische Mehrheit hat, aber die ein klares Signal setzen würde. Die CDU muss gerade immer wieder Stellung beziehen und erklären, dass es mit links und rechts keine Zusammenarbeit geben kann. Sie tut gut daran. Die FDP wackelt indes keinen Millimeter. Weder nach links, noch nach rechts! Aber wo sind die Journalisten, wo sind die Stimmen, die das gleichermaßen von Sozialdemokraten und Grünen fordern? Haben wir uns schon daran gewöhnt, dass die einst stolze Sozialdemokratie als linkes Korrektiv in der Mitte und die Grünen, die in Thüringen aus der Bürgerrechtsbewegung entstanden sind als Anhängsel der Linken gelten?

Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann ist es die Tatsache, dass man die Ränder nicht klein macht, indem man ihnen Verantwortung überträgt. Die Spaltung unserer Gesellschaft führte in Thüringen dazu, dass die Mitte zerrieben wurde. Die Linke ist nicht die Alternative zur AfD, die Alternative zur AfD ist eine wirklich bürgerliche Mitte derer, die vor 30 Jahren schon einmal gemeinsam für eine bessere Zukunft Mauern eingerissen haben, die mutig waren, weil sie den Sozialismus überwinden wollten.

Im 30. Jahr des Mauerfalls ist es an der Zeit, dass CDU, SPD, FDP und Grüne sich ihrer Verantwortung bewusstwerden und dafür gemeinsam neue Wege gehen jenseits von rechts und links. Für die Demokratie und vor allem für die Menschen, die die friedliche Revolution noch nicht abgeschrieben haben.

Der Text ist erschienen auf kath.net